Digital resources in the Social Sciences and Humanities OpenEdition Our platforms OpenEdition Books OpenEdition Journals Hypotheses Calenda Libraries OpenEdition Freemium Follow us

Vorbereitung und Ablauf der Deportation

verfasst von: AG „Erinnerungsort Wildenbruchplatz“

Ab Herbst 1939 musste die jüdische Bevölkerung in sogenannte Judenhäuser ziehen. Dort lebten sie sehr beengt, letztlich eine Familie pro Raum (egal welche Personenanzahl). Als „Judenhaus“ wurden Wohnhäuser bezeichnet, die aus jüdischem Besitz stammten und in denen ausschließlich Jüdinnen und Juden untergebracht wurden. Die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland musste auf Anweisung der Gestapo die Listen der jüdischen Bewohner und Bewohnerinnen zusammenstellen.

Bereits vor diesen Zwangseinweisungen in „Judenhäuser“ war es zu flächendeckenden Enteignungen von Eigentum, dem Verlust von Arbeitsplätzen und der Verpflichtung zur Zwangsarbeit von Jüdinnen und Juden gekommen. Der Zwang zum Tragen des gelben Sterns, dem „Judenstern“, in der Öffentlichkeit trat zum 1. September 1941 in Kraft.

Benachrichtigung über die anstehende Deportation

Ab November 1941 stellte die Bezirksstelle Westfalen der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, Büro Gelsenkirchen, die Bescheide zur anstehenden „Evakuierung nach dem Osten“ zu. Zur Zusammenstellung der Namensliste und Verbreitung dieser Anordnung war die Bezirksstelle von der Gestapo gezwungen worden. Aus dem Schreiben ging hervor, zu welchem Zeitpunkt und an welchem Ort sich die zur anstehenden „Evakuierung“ angeschriebenen Personen einzufinden hatten. Zudem wurde im Bescheid bekanntgegeben, wieviel Bargeld und Gepäck mitgeführt werden durfte.

Benachrichtigung zum bevorstehenden “Evakuierungstransport” vom 17.01.1942 | Quelle: Privat

Die Betroffenen mussten die Gebühr für die „Evakuierung” (150 RM für eine dreiköpfige Familie) und die „Transportkosten” (120 RM) für die Mitnahme der beweglichen Gegenstände selbst tragen. Zu den Gegenständen, die mitgeführt werden durften, zählten u.a. Schlafanzüge, Nachthemden, Socken, Pullover, Hosen, Hemden, Krawatten, warme Kleidung, Näh- und Rasierzeug, Bettzeug, Medikamente. Zusätzlich sollte Verpflegung für acht Tage mitgeführt werden.

Der Zug, war ursprünglich für den 12. Dezember 1941 vorgesehen. Vermutlich aufgrund von Kapazitätsplanungen bei Personal und Waggons konnte er nicht wie geplant durchgeführt werden.

Das Sammellager auf dem Wildenbruchplatz

Im Januar 1942 kam es dann zur Versammlung der ersten über 500 jüdischen Menschen in der Ausstellungshalle am Wildenbruchplatz, die nun zum Sammellager wurde. Über 350 von ihnen stammten aus Gelsenkirchen, etwa 150 weitere Menschen aus dem Kreis Recklinghausen, Bottrop und dem Münsterland. Die Menschen waren für mehrere Tage in der Halle eingesperrt. Unter ihnen waren viele Kinder und Jugendliche. Bei eisigen Temperaturen warteten sie auf ihren Abtransport. In den Tagen vor der Deportation wählte die Gelsenkirchenerin Helene Lewek den Freitod.

Stolperstein am Wildenbruchplatz 13 für Helene Lewek | Foto und Rechte: ISG

Die Deportation nach Riga

Am frühen Morgen des 27. Januar 1942 wurden die Jüdinnen und Juden unter Bewachung der Polizei zum nahegelegenen Güterbahnhof geführt. Der Personenzug verließ den Güterbahnhof Gelsenkirchen in Richtung Dortmund. Dort wurden noch einmal zusätzliche Waggons mit weiteren 500 Menschen angehängt. Der Zug wurde von der Ordnungspolizei bis nach Riga begleitet. Die anfallenden Kosten wurden von der Sicherheitspolizei an die Reichsbahn erstattet. Das Gepäck befand sich in den letzten Waggons, die unterwegs abgehängt wurden. Die Insassen des Zuges wurden so bereits vor der Ankunft ihrer persönlichen Gegenstände beraubt.

Nach einer mehrtägigen ohne großen Halt Fahrt erreichte der Zug am 1. Februar 1942 Riga-Skirotava, wo sie aussteigen und zu Fuß weitergehen mussten. In das Ghetto Riga wurden tausende westfälische Jüdinnen und Juden deportiert. Die Lebensbedingungen waren extrem schwer und viele Menschen starben an Hunger oder Erschöpfung.

Die weitaus meisten Gelsenkirchener Jüdinnen und Juden wurden im Ghetto Riga oder in Konzentrationslagern wie Kaiserwald oder Stutthof ermordet. Bis zu ihrem Tod mussten sie schwerste Zwangsarbeit leisten.

Mehr Informationen zum Ghetto Riga

Quellen und Literatur

Stefan Goch: Jüdisches Leben – Verfolgung, Mord, Überleben. Ehemalige Jüdische Bürgerinnen und Bürger Gelsenkirchens erinnern sich, Essen 2004.

Alfred Gottwaldt / Diana Schulle: Die „Judendeportationen aus dem Deutschen Reich“ 1941-1945, Wiesbaden 2005.

Andrea Niewerth: Gelsenkirchener Juden im Nationalsozialismus. Eine kollektivbiographische Analyse über Verfolgung, Emigration und Deportation, Essen 2002.

Ralf Piorr / Peter Witte:  Ohne Rückkehr: Die Deportation der Juden aus dem Regierungsbezirk Arnsberg nach Zamość im April 1942, Essen 2012.

United States Holocaust Memorial Museum (“Deportation in die Vernichtungslager”, https://encyclopedia.ushmm.org/content/de/article/deportations-to-killing-centers)

Deutsches Riga-Komitee, Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. (https://www.riga-komitee.eu/)


OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
plenz (27. Januar 2022). Vorbereitung und Ablauf der Deportation. GE:schichte. Abgerufen am 13. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/qio1


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.